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Projektbereich A - Theoretische Grundlagen

Unser SFB-Vorhaben versucht, die Forschungsansätze zur Governance-Problematik, die wesentlich vor der Folie des modernen und demokratischen Rechtsstaats entwickelt wurden, systematisch auf Räume begrenzter Staatlichkeit anzuwenden und vor dem Hintergrund eines diachronen Vergleich mit historischen Varianten begrenzter Staatlichkeit kritisch zu reflektieren. Aufgrund der Konzentration der Governance-Forschung auf die Veränderung von Staatlichkeit innerhalb der OECD-Welt kann sich unser Forschungsvorhaben nicht auf einen bereits bewährten und feststehenden Satz von Leithypothesen stützen, die nur noch am empirischen Objekt zu überprüfen wären. Es besteht vielmehr ein erheblicher Bedarf an Theoriebildung und –entwicklung, die im Vordergrund der Arbeiten des Projektbereichs A stehen. Die politik- und rechtswissenschaftlichen Teilprojekte dieses Projektbereichs konzentrieren sich deshalb auf Fragen der Begriffs- und Theoriebildung und greifen dabei auf die Ergebnisse der empirisch arbeitenden Teilprojekte in den Projektbereichen B-D zurück. Umgekehrt fließen die theoretischen Erkenntnisse der Teilprojekte des Projektbereichs A in die Forschungsheuristiken der Teilprojekte in den Projektbereichen B-D ein. Die dadurch hergestellte Rückkoppelungs-Schleife sorgt für den inneren Zusammenhalt und den Austausch zwischen den Projektbereichen A-D. Sie ist durch zwei dialogische Querschnittsarbeitsgruppen, die von Thomas Risse und Ursula Lehmkuhl (Teilprojektleitung A1 und zugleich Sprecher bzw. stellvertretende Sprecherin des SFB) geleitet werden, innerhalb des SFB auch strukturell verankert. Die beiden dialogischen Querschnittsarbeitsgruppen fokussieren, wie das Teilprojekt A1, auf die beiden zentralen Themenkomplexe des SFB und beschäftigen sich zum einen mit der „Theoretischen Reflexion von Governance und ‚neuen’ Formen des Regierens“, zum anderen mit „Räumen begrenzter Staatlichkeit und ihren zeitlichen Kontextbedingungen“.

Das Teilprojekt A1 von Thomas Risse und Ursula Lehmkuhl Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit: Beiträge zur Theoriebildung nimmt innerhalb des Projektbereichs wie auch hinsichtlich des Gesamt-SFB eine zentrale Position ein. Es diskutiert auf der Grundlage der Auswertung vorhandener theoretischer Forschungsliteratur zur Governance-Problematik und der von den Teilprojekten des SFB geleisteten empirisch-analytischen und theoretischen Arbeiten die konzeptionellen Probleme, die entstehen, wenn die im euro-atlantischen wissenschaftlichen Diskurs dominierenden Governance-Konzepte auf Räume begrenzter Staatlichkeit außerhalb der OECD-Welt sowie auf historische Varianten angewandt werden. Es fasst die Forschungsergebnisse der Einzelprojekte im Hinblick auf die zwei zentralen Themen des SFB zusammen und verdichtet sie im Rahmen der geplanten Theorie-, Begriffs- und Typenbildung.

Der Beitrag zu einer Theorie des Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit muss sich theoretisch insbesondere mit vier Problemkontexten auseinandersetzen: 1. dem Phänomen der weichen Steuerung, 2. der Rolle von Recht und Rechtsstaatlichkeit, 3. den normativen Implikationen rechtsstaatlicher Vorgaben sowie 4. der Legitimität von Governance. Das Problem „weicher Steuerung“ ist Gegenstand des Teilprojekts A2 von Gerhard Göhler Weiche Steuerung: Sozialwissenschaftliche Machttheorien und das Regieren in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Das Teilprojekt zielt darauf ab, ein Konzept von weicher Steuerung zu entwickeln und führt dazu spezifische Stränge der politikwissenschaftlichen Theoriedebatte zum Macht- und Steuerungsbegriff zusammen. Das Zusammendenken von Macht- und Steuerungstheorien verspricht einen innovativen Beitrag zur Theorieentwicklung für den Gesamt-SFB zu leisten. Die Rolle des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit wird im Teilprojekt A3 Rechtsstaatlichkeit als Governance-Ressource in Räumen begrenzter Staatlichkeit von Gunner Folke Schuppert reflektiert. Das Teilprojekt geht von der These aus, dass Rechtsstaatlichkeit ein zentrales Gemeinschaftsgut sei, das für die Bereitstellung materieller Gemeinschaftsgüter wie Sicherheit und Freiheit von vorgängiger Bedeutung ist und interessiert sich insbesondere für die Akteure, die in Räumen begrenzter Staatlichkeit den Staat als monopolistischen Normproduzenten substituieren.

Während die Teilprojekte A2 Göhler und A3 Schuppert eine funktional-analytische Perspektive einnehmen, nähern sich die Teilprojekte A4 Rudolf und A5 Ladwig dem Thema normativ. Teilprojekt A4 von Beate Rudolf fragt dabei nach Völkerrechtlichen Standards für Governance in schwachen und zerfallenden Staaten. Es analysiert Menschenrechte, Mindestanforderungen an interne Herrschaftsstrukturen und Standards für Good Governance. Das Teilprojekt untersucht die Impulse, die das Völkerrecht für legitime Herrschaftsausübung in schwachen und zerfallenden Staaten gibt und erörtert, wie Verpflichtungsgrad und Bindungswirkung dieser Standards zu bewerten sind.

Eine dezidiert normativ-bewertende Perspektive nimmt schließlich das Teilprojekt A5 von Bernd Ladwig ein, das nach Normativen Standards guten Regierens unter Bedingungen zerfallen(d)er Staatlichkeit fragt. Hier geht es aus der Sicht der normativen politischen Theorie darum, die zivilisatorischen und menschenrechtlichen Standards zu klären, die für die Legitimation von Staatlichkeit und Governance grundlegend sind. Unter welchen Bedingungen können diese Standards zur Rechtfertigung externer Eingriffe und Aufbauhilfen in zerfallen(d)e Staaten herangezogen werden, und welche Probleme entstehen dabei? Indem es diese Fragen zu beantworten sucht, leistet das Teilprojekt A5 Ladwig über seinen Beitrag zur Theoriebildung hinaus wichtige Pionierarbeiten für die zweite Phase des SFB, in der die Frage nach der Legitimität von Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit im Zentrum stehen wird (vgl. Rahmenantrag).