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Governance

= institutionalisierte Modi der sozialen Handlungskoordination, die auf die Herstellung und Implementierung verbindlicher Regelungen bzw. auf die Bereitstellung kollektiver Güter abzielen.

 

Erläuterungen:

Governance-Leistungen: Governance zielt auf einen Output: verbindliche Regeln oder →kollektive Güter. Diesen Output bezeichnen wir als Governance-Leistung.

 

Verbindliche Regelungen: Verbindliche Regelungen, die als Governance-Leistungen qualifiziert werden können, zielen immer auf einen Wert oder Nutzen für ein Kollektiv (→Referenzkollektiv von Governance; →minimale Normativität). Sie können als Governance-Institutionen Handeln auf die Bereitstellung kollektiver Güter hin ausrichten; oder sie ordnen die Interaktionen im Kollektiv und schaffen somit Erwartungssicherheit für seine Mitglieder; oder sie stabilisieren einen Wert für das →Referenzkollektiv. Willkürliche Machtausübung und politischer Terror sind hingegen keine Governance-Leistungen (→minimale Normativität). Governance-Regelungen, z.B. politische Entscheidungen, erheben den Anspruch auf Verbindlichkeit – und zwar unabhängig davon, ob und wie sie durchgesetzt oder eingehalten werden (also unabhängig von Implementierung und compliance). Entscheidend ist, dass sich das →Referenzkollektiv von Governance über den Geltungsanspruch der Verbindlichkeit im Klaren ist.

 

Kollektive Güter: Kollektivgüter sind Gemeingüter, in Abgrenzung zu Privatgütern. Gemeint sind materielle und immaterielle öffentliche Güter, Allmendegüter und Klubgüter, die sich durch mindestens eine von zwei Eigenschaften auszeichnen: a) Nicht-Ausschließbarkeit oder freier Zugang und b) Nicht-Rivalität im Verbrauch. Kollektivgüter sind räumlich und zeitlich variabel. Was in gegebenen Kontexten jeweils als Kollektivgut definiert wird, kann daher nur empirisch beantwortet werden. „Natürliche“ Kollektivgüter gibt es nach unserem Verständnis nicht.

 

Tabelle: Kollektivgüter in Abgrenzung zu Privatgütern

 

Rivalität im Verbrauch

Nicht-Rivalität im Verbrauch

Ausschließbarkeit

(Private Güter)

Klubgüter

Nicht-Ausschließbarkeit

Allmende-Güter

Öffentliche Güter

 

Institutionalisierte Modi der sozialen Handlungskoordination: Die Herstellung verbindlicher Regelungen und die Bereitstellung kollektiver Güter sind komplexe Prozesse der sozialen Handlungskoordination, die sich in institutionellen Bahnen abspielen. Die Gestaltung der Regelkomplexe (oder Governance-Institutionen), die Handeln auf Governance hin ausrichten sollen, ist selbst ein Governance-Prozess im Sinne unserer Definition.

 

Intentionalität: Governance bezweckt konkretisierbare Leistungen für eine angebbare soziale Gruppe (→Referenzkollektiv). In diesem Sinne einer Handlungsausrichtung ist Governance immer intentional. Kollektiver Nutzen als nicht-intendierte Folge oder by-product von Privatleistungen ist nicht Governance (z.B. die zunehmende Sicherheit in einer Straße, in der vor einer Bank Sicherheitsangestellte postiert sind). Geht man von den Akteuren im Governance-Prozess aus, so müssen diese die Erbringung einer Governance-Leistung anvisieren. Die →Handlungsorientierung ist dabei unabhängig von den Motiven der handelnden Akteure. So kann Governance nicht nur mit Wertrationalität (und Altruismus) oder Konventionen, sondern auch mit Kosten-Nutzen-Kalkülen einhergehen (wenn sich z.B. Unternehmen aus Profitstreben heraus für ein „sauberes Image“ sozial engagieren). Die Intentionalität der Handlung wird in den meisten Fällen durch Governance-Institutionen gewährleistet, die Handlungsoptionen einschränkend auf einen kollektiven Nutzen hin ausrichten.

 

Minimale Normativität: Governance orientiert sich immer an einem kollektiven Wert oder Nutzen (im Gegensatz zum Nutzen Einzelner oder Weniger als „Leitmotiv“ von Willkürherrschaft und Terrorregimen). Mit Governance ist mindestens der Anspruch verbunden, die Interaktion der Mitglieder des Referenzkollektivs durch elementare Ordnungsleistungen abzusichern. Darüber hinaus verbinden wir mit unserer Governance-Definition einen tendenziellen Anspruch auf Inklusivität: Relativ zum jeweiligen räumlichen und zeitlichen Kontext des Regierens misst sich die Governance-Qualität am Maßstab seiner Einbeziehung möglichst Vieler. Governance ist, was (mehr Menschen) einschließt und nicht ausschließt.

 

Öffentliche/private Handlungsorientierung: Wir binden das Attribut „öffentlich“ nicht an staatliche Akteure. „Öffentlich“ bedeutet für uns eine Handlungsorientierung im Sinne der Etablierung verbindlicher Regeln mit kollektivem Nutzen und der Bereitstellung von Kollektivgütern. In →Räumen begrenzter Staatlichkeit kommt es immer wieder vor, dass staatliche Akteure ihre Ämter zu privaten Zwecken nutzen (z.B. Verteidigungsminister, die als Warlords Profit machen) oder dass private Akteure im öffentlichen Interesse handeln (z.B. Religionsgemeinschaften oder entwicklungspolitische NGOs, die Krankenhäuser unterhalten). Die Abkopplung der (öffentlichen oder privaten) Handlungsorientierung von bestimmten Akteurstypen ist also eine Notwendigkeit, die sich aus unserem speziellen Anwendungskontext des Governance-Konzepts ergibt.

 

Referenzkollektiv von Governance: Governance-Leistungen zielen immer auf eine angebbare soziale Gruppe. Empirische Forschungen haben hinlänglich gezeigt, dass dieses Referenzkollektiv von Governance in vielen Fällen nicht mit der Bevölkerung auf einem gegebenen Territorium oder gar mit den Bürgerinnen und Bürgern eines Staates identisch ist. In →Räumen begrenzter Staatlichkeit ist zudem normativ hochgradig umstritten, für wen Governance bereitgestellt werden sollte. Um den komplexen Fragen rund um das Referenzkollektiv von Governance analytisch gerecht zu werden, unterscheiden wir zwischen Anspruchsberechtigten, Adressaten und Empfängern von Governance (→Governance-Akteure).

 

Governance-Akteure: Die Individuen, Gruppen, Sozialverbände oder Organisationen, die in einem Governance-Prozess zusammenwirken, lassen sich analytisch in vier, sich teilweise überschneidende Kategorien gliedern: Auf der einen Seite stehen dabei die Erbringer von Governance-Leistungen, die sich mit ihren Ressourcen intentional an der Bereitstellung einer Governance-Leistung beteiligen. Auf der anderen Seite steht das Referenzkollektiv von Governance, das sich in empirischer und normativer Hinsicht beschreiben lässt: a) als Adressaten, für die eine Governance-Leistung bestimmt ist; b) als Empfänger, die eine Governance-Leistung tatsächlich erhalten (→Effektivität); c) als Anspruchsberechtigte, die die normativ gebotenen Empfänger von Governance sind (→Legitimität).