States at Risk. Zur Analyse fragiler Staatlichkeit
Ulrich Schneckener – 2006
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben ein Thema zurück auf die internationale Agenda gebracht, das bereits Anfang der neunziger Jahre die Weltöffentlichkeit beschäftigt hatte: das Problem zerfallender oder gescheiterter Staaten. Die Verbindung zum 11. September ist dabei eher indirekt, die Attentäter gehörten einem transnationalen Terrornetzwerk an, das seinen (temporären) Hauptsitz in Afghanistan hatte, einem jener vergessenen failed states. Dieser Fall zeigt auf dramatische Weise: Aus lokalen Problemlagen können, sofern sie ignoriert werden, globale Risiken erwachsen. Galten zerfallende Staaten in der Vergangenheit als eine regionale Angelegenheit, die aus primär humanitären Gründen zum Eingreifen zwinge (siehe Somalia 1992), wird das Phänomen in der westlichen Welt seit dem 11. September verstärkt als unmittelbare Gefährdung der eigenen nationalen Sicherheit wahrgenommen. In ihrer »Nationalen Sicherheitsstrategie « vom September 2002 zog die Bush-Regierung daher die Schlußfolgerung: »America is now threatened less by conquering states than we are by failing ones.« In der »Europäischen Sicherheitsstrategie« vom Dezember 2003 werden zerfallende Staaten ebenfalls als eine der zentralen Bedrohungen der internationalen Sicherheit bezeichnet, als »alarmierendes Phänomen, das die globale Politikgestaltung untergräbt und die regionale Instabilität vergrößert«. Dies gelte um so mehr, je stärker sich dieses Problem mit Gefährdungen wie dem internationalen Terrorismus, der organisierten Kriminalität und/oder der Proliferation von Massenvernichtungswaffen verbinde.