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Internationale Organisationen als Governance-Akteure in Westafrika

Gebäude des WFP Büro in Freetown

Gebäude des WFP Büro in Freetown
Bildquelle: Angela Heucher

News vom 24.08.2016

Die Vereinten Nationen haben im Rahmen der Sustainable Development Goals (SDGs) ein klares Ziel formuliert: Bis zum Jahr 2030 den Hunger beenden (SDG2). Mit diesem Ziel gehen auf globaler Ebene große Erwartungen an internationale Organisationen (IOs) einher, einen substanziellen Beitrag zur Ernährungssicherheit zu leisten. In Räumen begrenzter Staatlichkeit sind IOs in dieser Hinsicht zentrale Governance-Akteure: Sie stellen dieses essentielle Governance-Gut direkt bereit und führen Projekte durch, die Ernährungssicherheit langfristig gewährleisten sollen. IOs stehen dabei jedoch vor einem Dilemma: Einerseits benötigen sie die (zumindest implizite) Unterstützung diverser Akteure, gegenüber denen sie rechenschaftspflichtig sind (z.B. Mitgliedsstaaten und Governance-Adressaten). Andererseits verfügen IOs über organisationale Werte und Richtlinien für ihre Arbeit, die ebenfalls an die IO gerichtete Erwartungen widerspiegeln.

Wie gehen IOs mit diesen Erwartungen um, wenn sie divergieren? Inwiefern passen sie sich an lokale Kontexte an? Diesen Fragen des D8-Projektes „‘Talk and Action‘: Wie internationale Organisationen auf Räume begrenzter Staatlichkeit reagieren“ bin ich während meines Forschungsaufenthalts in Westafrika nachgegangen. Von Januar bis März 2016 habe ich dazu Gespräche mit Mitarbeitern internationaler Organisationen in Abidjan (Côte d’Ivoire), Niamey (Niger) und Freetown (Sierra Leone) geführt.

In humanitären Notlagen ist das entscheidende Kriterium für IOs bei der Verteilung von Gütern die Bedürftigkeit der Governance-Adressaten. Im Einklang mit organisationalen Werten und Richtlinien geben IOs Güter an diejenigen, die diese – ihrer Einschätzung nach – am meisten benötigen („needs-based approach“). So ging auch die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) bei einem Nothilfe-Projekt in Côte d’Ivoire vor: Um die landwirtschaftliche Produktion im Westen des Landes anzukurbeln, verteilte die Organisation Saatgut-Pakete an Kleinbauern, die zuvor als besonders bedürftig identifiziert worden waren. Die Projektevaluation zeigte jedoch, dass nach der Verteilung durch die FAO eine Neuverteilung innerhalb der Gemeinschaft stattfand. Dies impliziert, dass Governance-Empfänger andere Kriterien für wichtig befinden.

In entwicklungsorientierten Kontexten lassen sich andere organisationale Werte und Richtlinien beispielhaft aufzeigen. So haben manche IO-Projekte im Niger eine Gender-Komponente: Frauen erhalten demnach bevorzugt Geld („cash transfers“), um Lebensmittel für ihre Familien zu kaufen. Dadurch soll die Ernährungssicherheit von Familien gefördert und gleichzeitig die gesellschaftliche Position von Frauen gestärkt werden. In Teilen des Niger sind jedoch traditionell die Männer dafür zuständig, Lebensmittel für die Familie zu besorgen, sodass die Verteilungsmechanismen des Projekts mit Erwartungen der Bevölkerung vor Ort kollidieren können.

Das auch IOs und Regierungen unterschiedliche Ansichten darüber haben können, wie Projekte zu gestalten sind, zeigt sich in Sierra Leone: Während IOs in Gesprächen auf das Kriterium der Bedürftigkeit verwiesen, war es der Ansatz der Regierung, alle Regionen innerhalb des Landes gleichberechtigt zu berücksichtigen, sodass sich keine Region benachteiligt fühlt.

Ob in Côte d’Ivoire, Niger, oder Sierra Leone: IOs sind mit divergierenden Erwartungen konfrontiert. Sie wenden verschiedene Strategien an um damit umzugehen, wie z.B. Verteilungskriterien transparenter zu gestalten, oder lokale Interessensgruppen verstärkt einzubeziehen. Doch mit divergierenden Erwartungen umzugehen, bleibt ein Balanceakt in der täglichen Arbeit internationaler Organisationen – ganz zu schweigen von den großen Erwartungen an IOs, einen wesentlichen Beitrag zum Ende des Hungers zu leisten.

Über die Autorin:

Angela Heucher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Teilprojekt D8 - 'Talk and Action'. Wie internationale Organisationen auf Räume begrenzter Staatlichkeit reagieren. Im Rahmen des Projektes führt sie Fallstudien zu internationalen Organisationen im Themenfeld Ernährungssicherheit in Westafrika (Côte d’Ivoire, Niger, und Sierra Leone) durch.