Polizeiaufbau, Prävention und politische Ordnung – Ein Feldforschungsbericht aus Guatemala
News vom 01.03.2016
Im Teilprojekt C3 - Police-Building und transnationale Sicherheitsfelder in Lateinamerika befassen wir uns mit Security Governance-Transfers und der Bedeutung des historischen Erbes solcher Transfers für gegenwärtige Statebuilding-Interventionen. Hierzu untersuchen wir das Beispiel des transnationalen Polizeiaufbaus in Guatemala. Schnell wurde klar, dass es bei Polizeiaufbau in Guatemala um weit mehr geht als um die Reform der Polizei als Institution. In Zentralamerikas größtem Staat ist die Bandbreite internationaler Interventionen im Sicherheitsbereich enorm: Von Institutionenaufbau über capacity building hin zu „weichen“ Formen der Sicherheit, wie z.B. Community Policing-Strategien, wird auch die Stärkung lokaler Gemeinschaften von externen Akteur/innen im Namen der Bürgersicherheit gefördert.
Während Staaten wie die USA oder Kolumbien in Guatemala zwar weiterhin klassischen Polizeiaufbau betreiben, geht es zunehmend auch darum, ein „holistisches“ Sicherheitskonzept zu entwickeln. Letztlich ziele dieses, so erklärte mir eine USAID-Vertreterin bei meiner ersten Feldforschungsreise für das C3-Projekt im November 2012, auf die Rückeroberung des öffentlichen Raumes ab. Dies sollte in den nächsten Jahren zu einem neuen Paradigma der Sicherheitspolitik in Guatemala werden. Das Sicherheitskonzept, unter anderem beeinflusst von den Erfahrungen der USA in der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan oder dem Kampf gegen kriminelle Gangs von Los Angeles bis Medellín, wird nirgendwo so deutlich umgesetzt wie in Villa Nueva. Diese südwestlich von Guatemala City gelegene Stadt, ein berüchtigter crime hotspot, spiegelt viele Trends liberalen Staatsaufbaus in der Region wider.
Neben „modernen“ Polizeistrategien wie Community Policing setzt der gegenwärtige Bürgermeister Villa Nuevas, Edwin Escobar, der sich Diskurse und Praktiken externer Akteure und Sicherheitsexpert/innen wie kaum ein zweiter in Guatemala zu eigen gemacht hat, auf institutionenübergreifende Kooperationen zwischen Polizeikräften und dem Militär und den Einsatz neuster Technologien von Überwachungskameras bis zu Smartphone-Apps. Auch die Bürger/innen Villa Nuevas nimmt der Bürgermeister in die Pflicht: über Hotlines, das Internet oder durch die Organisation in Präventions-Komitees sollen diese zur Informationsgewinnung über Kriminalität sowie zur Reduktion von Gewalt beitragen.
Bei Interviews mit Vertreter/innen der Dirección General de Seguridad Integral und mit community leaders aus verschiedenen Teilen Villa Nuevas sowie durch die Teilnahme an zwei Workshops zu Bürgersicherheit im Jahr 2014 und 2015, lernte ich den „integralen“ Sicherheitsansatz Villa Nuevas kennen. Dieser hat letztlich die (Wieder)herstellung einer flächendeckenden Präsenz des Staates zum Ziel. Er umfasst neben den genannten Maßnahmen auch Präventionsprojekte, die Freizeitangebote für von Gewalt „gefährdete“ und potentiell „gefährdende“ Jugendliche sowie die Neuordnung des öffentlichen Raums vorsehen.
Villa Nueva zeigt exemplarisch, wie transnational zirkulierende Sicherheitspraktiken und -diskurse lokal angeeignet und umgesetzt werden. Auch wenn US Vize-Präsident Joe Biden bei einem Besuch im März 2015 Villa Nueva zum regionalen Vorbild erklärte, sind die Konsequenzen von Bürgermeister Escobars Ansatz umstritten.
Erste Ergebnisse des C3-Projektes lassen unter anderem darauf schließen, dass transnationale Security Governance-Transfers historische Muster der Privatisierung von sozialer Kontrolle und Überwachung reproduzieren. Dies gilt insbesondere für diejenigen Programme und Projekte, die auf den Aufbau widerstandsfähiger (sogenannter „resilienter“) Gemeinschaften und Gewaltprävention abzielen. An diesen lässt sich exemplarisch zeigen, dass die Aneignung externen Expertenwissens zur Reproduktion einer exkludierenden Ordnung beitragen kann, begünstigt durch die mit Expertenwissen einhergehende Depolitisierung urbaner Security Governance.
Über den Autor: Markus Hochmüller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt C3 - Police-Building und transnationale Sicherheitsfelder in Lateinamerika. Dort befasst er sich aus feldtheoretischer Perspektive mit transnationalem Polizeiaufbau und Statebuilding in Guatemala. |