Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit
Thomas Risse, Ursula Lehmkuhl – 2008
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigt sich, dass herkömmliche Formen nationalstaatlicher Steuerung globalen Herausforderungen wie Umweltproblemen, humanitären Katastrophen und neuen Sicherheitsbedrohungen nicht gerecht werden. Governance ist auch deshalb in das Zentrum sozialwissenschaftlicher Forschung gerückt. Der Diskurs über Governance findet jedoch vor dem Hintergrund der entwickelten Nationalstaaten der OECD-Welt statt. In zwei Dritteln der Staatenwelt sind die Voraussetzungen moderner Staatlichkeit aber nur bedingt gegeben. Nicht nur in zerfallen(d)en Staaten, sondern auch in vielen Entwicklungsländern kann die staatliche Zentralgewalt nur in Teilen des Territoriums oder einzelnen Politikbereichen Entscheidungen durchsetzen. Wenn aber ein zentrales Konzept der Sozialwissenschaft für zwei Drittel der Staatenwelt nicht brauchbar ist, besteht neben einem theoretischen auch ein politisch-praktisches Problem. Im Rahmen einer Theorie des Regierens in historischen und gegenwärtigen Räumen begrenzter Staatlichkeit müssen deshalb die Governance-Konzepte im Hinblick auf ihre Übertragbarkeit auf die Nicht-OECD-Welt geprüft werden. Dieser Sammelband unternimmt einen ersten Schritt in diese Richtung.
Governing without the State? Governance in Areas of Limited Statehood: How does governance work in weak and failing states, for example in Afghanistan, where modern statehood does not exist? This anthology looks at the transferability of governance concepts to the non-OECD world, thereby contributing to a theory of governance in historical and contemporary areas of limited statehood.
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung
Thomas Risse/Ursula Lehmkuhl: Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit
II. Theoretische Zugänge
Tanja A. Börzel: Regieren ohne den Schatten der Hierarchie: Ein modernisierungstheoretischer Fehlschluss?
Gunnar Folke Schuppert/Matthias Kötter: Rechtssicherheit jenseits des Staates?
Gerhard Göhler: „Weiche Steuerung“: Regieren ohne Staat aus machttheoretischer Perspektive
III. Colonial Governance
Ursula Lehmkuhl: Regieren im kolonialen Amerika: Colonial Governance und koloniale Gouvernementalité in französischen und englischen Siedlungskolonien
Sebastian Conrad: Wissen als Ressource des Regierens in den deutschen und japanischen Kolonien des 19. Jahrhunderts
Mechthild Leutner: Kooperationsnetze und Akteure im semi-kolonialen China, 1860-1911
IV. Sicherheit ohne Staat?
Sven Chojnacki/Željko Branović: Räume strategischer (Un-)Sicherheit: Ein Markt für nicht-staatliche Gewaltakteure und Gelegenheiten für Formen von Sicherheits-Governance
Ulrich Schneckener/Christoph Zürcher: Transnational Security Governance in fragilen Staaten. Oder: Geht Sicherheit ohne Staat?
Marianne Braig/Ruth Stanley: Die Polizei – (k)ein Freund und Helfer? Die Governance der öffentlichen Sicherheit in Buenos Aires und Mexiko Stadt
V. Entwicklung, Gesundheit, Umwelt: Die Rolle öffentlich-privater Partnerschaften
Marianne Beisheim/Andrea Liese/Cornelia Ulbert: Erfolgsbedingungen transnationaler Partnerschaften: Hypothesen und erste Ergebnisse
Tanja A. Börzel/Adrienne Héritier/Anna Kristin Müller-Debus: Der Regulierungsbeitrag von Großunternehmen im Kampf gegen HIV/AIDS in Südafrika
Harald Fuhr/Markus Lederer/Miriam Schröder: Klimaschutz und Entwicklungspolitik: Der Beitrag privater Unternehmen
Henrik Enderlein: Makroökonomische Stabilisierung in Schuldenkrisen: Zur Bedeutung von Governance-Aspekten in der Interaktion von privaten Gläubigern und staatlichen Schuldnern in Schwellenländern
VI. Regieren ohne Staat?
Beate Rudolf: Zwischen Kooperation und Intervention: Die Durchsetzung völkerrechtlicher Standards guten Regierens in Räumen begrenzter Staatlichkeit
Bernd Ladwig: Gebotene Fremdbestimmung? Normative Überlegungen zum Umgang mit zerfallen(d)er Staatlichkeit
Lars Brozus: Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit als Problem der Politik