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Die Politik des Staatsaufbaus und der Sicherheitssektorreform in Côte d'Ivoire und im Libanon

Das Regionalbüro der UNOCI in Korhogo, Côte d'Ivoire

Das Regionalbüro der UNOCI in Korhogo, Côte d'Ivoire

Ein Schild am berühmten Hotel „St. George“ in Beirut, das gegen das Wiederaufbauprojekt Beiruts nach dem Krieg und gegen die Firma protestiert, die es durchführt – beide bekannt unter dem Namen „Solidere“

Ein Schild am berühmten Hotel „St. George“ in Beirut, das gegen das Wiederaufbauprojekt Beiruts nach dem Krieg und gegen die Firma protestiert, die es durchführt – beide bekannt unter dem Namen „Solidere“

News vom 14.07.2015

Im SFB-Teilprojekt C6 untersuchen wir die komplexen Interaktionen zwischen internationalen und lokalen Akteuren, und analysieren, wie sich innerstaatliche Machtbeziehungen und Politik in Folge von internationalen Bemühungen um den Aufbau von Staatlichkeit verändern. Gegenwärtig konzentrieren wir uns dabei auf die Fallstudien Côte d'Ivoire und Libanon. Im Zentrum unserer Forschung steht das internationale Engagement im Sicherheitssektor und bei der Reformierung nationaler politischer Institutionen. Beide Länder sind durch eine fragile politische Ordnung, gesellschaftspolitische Spaltungen und eine langjährige Präsenz externer Akteure wie den UN, der EU sowie einzelner Staaten gekennzeichnet.

Zu Beginn des Jahres 2015 sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter Tilmann Scherf und Sina Birkholz für ihre Feldforschung in die Côte d'Ivoire bzw. in den Libanon gereist, um das Feld internationaler Staatsaufbauhilfe in den jeweiligen Ländern abzustecken. Vor Ort führten beide qualitative Interviews mit jeweils mehr als 30 aus- und inländischen Experten durch. Darunter befanden sich Vertreter der UN-Institutionen, der EU und ausländischer Botschaften sowie Repräsentanten nationaler Ministerien und Sicherheitskräfte und schließlich Experten aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft.

Côte d’Ivoire

Obwohl die Côte d'Ivoire seit vielen Jahren als Musterland für politische und wirtschaftliche Stabilität in Westafrika galt, kam es seit Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 2002 zu kontinuierlichen Gewaltakten. Der fast ein Jahrzehnt andauernde Konflikt hinterließ das Land gespalten entlang ethnischer und identitärer Linien, einerseits in den von Rebellen der „Forces Nouvelles“ besetzten Norden, und andererseits in den vom Staat kontrollierten Süden des Landes. Nach den umstrittenen Wahlen im Jahr 2010 brachen erneut schwere Kämpfe aus, die zur Absetzung von Präsident Laurent Gbagbo führten. Letztlich wurden die Kämpfe 2011 durch die Bildung einer neuen von Präsident Alassane Ouattara angeführten Regierung beendet. Die Operation der Vereinten Nationen in Côte d'Ivoire (UNOCI) ist seit ihrer Gründung im Jahr 2004 beauftragt, den fragilen Frieden zu überwachen und die neue ivorische Regierung bei der Durchführung ihrer nationalen Sicherheits-Sektor-Reform (SSR) und bei der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Rebellenkämpfer (DDR) zu unterstützen. Die Arbeit von UNOCI wird durch weitere internationale Organisationen (u.a. UNDP, GIZ, USAID) unterstützt, die extern finanzierte Projekte in der Côte d’Ivoire, vor allem im Bereich der Polizeireform, DDR und des Aufbaus demokratischer Institutionen, durchführen.

Tilmanns Forschungsarbeit hat von den praktischen Erfahrungen und dem täglichen Austausch mit einer Vielzahl von Akteuren in Côte d’Ivoire umfassend profitiert. Viele Gesprächspartner waren der Ansicht, dass die Präsenz der internationalen Gemeinschaft eine insgesamt positive Wirkung auf die allgemeine Sicherheitslage im Land ausübt. Dennoch bleibt der Frieden fragil, da die Ouattara-Regierung stark auf die beruhigende Wirkung der Präsenz der internationalen Gemeinschaft und deren Bemühungen um Stabilität angewiesen ist. Anhänger des „alten Regimes" werfen der neuen Regierung vermeintliche „Siegerjustiz" vor. Ein weiteres Sicherheitsproblem bleibt die Ungewissheit über den Status der ehemaligen Rebellenkämpfer, denen eine sukzessive Reintegration in die republikanischen Sicherheitskräfte versprochen worden ist. Diesen Druck von beiden Seiten auszugleichen, wird im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Oktober 2015 für die Ouattara-Regierung eine Gratwanderung bleiben.

Tilmann hat unter anderem an einem akademischen Workshop an der Université de Bouaké sowie an einer einwöchigen UN-Feldmission in den Norden der Côte d’Ivoire teilgenommen.

Libanon

In diesem Jahr gedachte die Bevölkerung Libanons dem Beginn des Bürgerkrieges vor 40 Jahren. Der 15 Jahre andauernde Konflikt war geprägt durch eine Abfolge sehr unterschiedlicher Phasen und Konfliktkonstellationen, und wurde (zumindest offiziell) mit dem Abkommen von Taif 1989 beendet. Das Abkommen definierte die Grundlagen der politischen Nachkriegsordnung – dies schloss die Sanktionierung der syrischen „Vormundschaft“ über den Libanon ein, was de facto gleichbedeutend war mit der syrischen Kontrolle über die libanesische Politik und den Sicherheitsapparat. Die Ermordung des früheren Premierministers Rafiq Hariri und die darauffolgende „Zedernrevolution“ im Jahr 2005 führten zum Abzug der syrischen Streitkräfte und weckte – vor allem im Ausland – die Hoffnung auf einen Neuanfang. Anstatt jedoch einen nationalen Konsens über Identität und Zukunft des Libanons hervorzubringen, waren die letzten 10 Jahre geprägt von politischem Stillstand, wiederkehrender Gewalt und einer Vertiefung von Klassen- und Konfessionsgegensätzen. Gleichzeitig bewiesen das politische System und das Land als Ganzes eine überraschende Widerstandsfähigkeit.

Die jüngste Prüfung der Stabilität Libanons stellen die regionalen Umbrüche seit 2011 und insbesondere der Bürgerkrieg in Syrien dar. Letzterer macht sich bemerkbar vor allem durch die mehr als eine Million Geflüchteten, die bereits im Libanon Schutz suchten, und weiterhin durch vermehrte Anschläge und Kampfhandlungen vor allem im Norden des Landes. Seit dem Ende des Bürgerkriegs haben die UN, die USA, die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf die genannten Wendepunkte wiederholt mit einer Ausweitung ihrer Unterstützung des Institutionenaufbaus im Libanon reagiert. Seit etwa 2005/2006 geht ein großer Teil dieser externen Hilfe an die staatlichen Sicherheitskräfte.

Die Feldforschung von Sina zielte darauf ab, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Schwerpunkte externe Akteure im Bereich der Governance- und der Sicherheitssektorreform setzen, und mit welchen Projekten und Methoden sie versuchen ihre Ziele zu erreichen. Durch Gespräche mit Vertretern der Geldgeber und –empfänger sowie externen und libanesischen Experten versuchte sie, ein Verständnis für die gegenseitigen Wahrnehmungen zu erlangen, die Praktiken der Zusammenarbeit und der Konkurrenz zu verstehen, und sich kritisch mit den Narrativen auseinanderzusetzen, die im Bereich Sicherheitssektor- und Governance-Reform entstehen.

Während ihres Forschungsaufenthalts hat Sina sehr von ihrer Anbindung an das Orient Institut Beirut (OIB) profitiert. Als Gastwissenschaftlerin standen ihr die Forschungskolloquien sowie die Bibliothek des OIB offen. Der Austausch mit den Wissenschaftlern des Instituts hat so einen wichtigen Beitrag zu Sinas Forschung geleistet.

Beide Forschungsreisen haben wichtige Ergebnisse für die Forschungsagenda des Teilprojekts C6 geliefert. In den zwei untersuchten Ländern werden die Praktiken und Ergebnisse des internationalen Engagements zum Staatsaufbau stark von den jeweiligen Staat-Gesellschafts-Beziehungen geformt, welche von neopatrimonialen (Côte d’Ivoire) und konfessionellen (Libanon) Einflüssen geprägt sind. Besondere Formen der Patron-Klient-Beziehungen waren entscheidend für die Strukturierung der Resultate internationaler Staatsaufbauprozesse – Resultate, die bestenfalls als „gemischt“ bezeichnet werden können. In einigen Fällen konnten wir beobachten, dass die internationale Hilfe unfreiwillig zur Stärkung und „Transnationalisierung“ lokaler Dynamiken der Bevorzugung und Patron-Klient-Beziehungen geführt hat. Diese Erkenntnisse haben der C6-Agenda wichtige Impulse für die zukünftige Projektforschung geliefert.

 

Über die Autor/Innen:

Sina Birkholz und Tilmann Scherf sind wissenschaftliche Mitarbeiter/Innen im Teilprojekt C6. Im Rahmen des Forschungsprojekts befassen sie sich mit der Rolle internationaler Akteure bei der Reformierung des Sicherheitssektors und dem (Wieder-)Aufbau nationaler politischer Institutionen in Räumen begrenzter Staatlichkeit in den Regionen Naher Osten und Westafrika.