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Sicherheitsforschung von der Veranda eines Safarihotels - Feldforschungsbericht aus der Zentralafrikanischen Republik

Tim Glawion spricht mit Händlern in Bangassou, Zentralafrikanische Republik

Tim Glawion spricht mit Händlern in Bangassou, Zentralafrikanische Republik

News vom 10.07.2015

„Wir müssen stark sein und uns durchsetzen!“ sagt der schmächtige Mann und spannt die Arme an bis die Muskeln hervortreten, „nur so kriegen wir unser Land wieder in den Griff“.

Vor ihm auf dem Tisch stehen Stempel und ein kleiner Wimpel der Zentralafrikanischen Republik. Feyomona ist der Gouverneur von Bangassou, einer Kleinstadt im Süden. Er trägt Sandalen und ein „Tag der Frauen“ Hemd. Auf der Veranda eines alten, zerfallenden Safarihotels hat er seinen Schreibtisch eingerichtet. Erst überfielen Séléka Rebellen das ursprüngliche Gouverneursbüro und stahlen Elektronik und Geld. Dann kamen Diebe und lösten selbst das Blech des Daches, um es auf dem Markt zu verkaufen. Feyomona war zu der Zeit im Kongo auf der Flucht.

Nun sitzt er auf einem Korbstuhl, vor ihm wir, Lotje de Vries und Tim Glawion, die mit einer Frage im Gepäck aus Deutschland anreisten: Wie kann unter diesen Bedingungen Sicherheit wieder hergestellt werden? Der Gouverneur Feyomona spricht über regionale Entwicklungspläne, an denen er selbst mitgearbeitet hat und bezieht sich auf Kant und Rousseau in seinen Schilderungen. Er ist überzeugt von seinem Staat. Doch der ist schwach: Die Sicherheit in der Stadt Bangassou liegt nicht in der Hand der drei staatlichen Gendarme sondern bei den 100 UN Soldaten. Die öffentlichen Schulen sind völlig verfallen, nur die katholische Kirche betreibt hier eine landesweit bekannte Privatschule. Und der Gouverneur selbst besitzt nicht mehr als seinen Schreibtisch – keinen Mitarbeiter, kein Auto, nicht einmal ein Fahrrad. Und ein Budget hat er auch nicht.

Die Lage in den anderen Orten, welche Lotje und ich besuchten, ist noch kritischer: In Paoua im Norden des Landes sind zwei Polizisten und drei Gendarme für die Sicherheit von 240.000 Menschen in der Region zuständig. Sie sind völlig überfordert. 150 UN Soldaten sichern die Ordnung – zumindest bis zum Stadtrand. Das Umland wird von Banditen und Rebellen beherrscht. In Obo, in der südöstlichen Ecke des Landes, trauen sich die Menschen nicht aus ihrem Dorf. Alle paar Monate verübt die ugandische Lord’s Resistance Army hier Gräueltaten, trotz der 4000 ugandischen Soldaten und der 150 amerikanischen Unterstützer. Eine weitaus größere Gefahr stellen mittlerweile jedoch schwerbewaffnete Wilderer und Milizen ehemaliger Rebellen aus der eigenen Region dar.

Das Land ist geprägt von Hunderten marodierender Banden, die Dutzende von Städten von der Außenwelt abgeschnitten haben. Einzig die Flugzeuge der UN und deren bewaffnete Güterkonvois erreichen noch die isolierten Städte. Viel tiefgreifender jedoch ist die Spaltung in der Gesellschaft: Misstrauen untergräbt das Zusammenleben konfessioneller, ethnischer und ökonomischer Gruppen. Unter diesen Bedingungen alternative Möglichkeiten der Sicherheitsproduktion zu finden ist eine Mammutaufgabe. Derzeitige Sicherheitsanalysen beschränken sich häufig auf internationale Möglichkeiten der Intervention, oder nationalstaatlich angeleitete Reformprozesse. Im Projekt C10 des SFB 700s untersuchen wir Entwicklungen in den Peripherien der Zentralafrikanischen Republik im Vergleich mit entlegenen Gegenden des Südsudan. Auf diese Weise wollen wir alternative Möglichkeiten der Sicherheitsbereitstellung erforschen und aufzuzeigen.

Über den Autor:

Tim Glawion ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 700 und beim German Institute of Global and Area Studies (GIGA) und untersucht im Teilprojekt C10 die Sicherheitsproduktion in Räumen mit begrenzter Staatlichkeit im Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik und Somaliland.