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Demokratietheorie in der Wüste

Ort libertärer Demokratie: Arizona, USA.

Ort libertärer Demokratie: Arizona, USA.

News vom 15.07.2014

Tief im Südwesten der USA, knapp vor der Grenze zu Mexiko, liegt die University of Arizona. Fernab der efeubehangenen Ostküste versteckt sich hier in der Wüste Arizonas eines der besten Departments für politische Philosophie in den USA. Dies war der Grund, warum ich von Oktober bis Dezember 2014 als “visiting scholar” zu Gast in Arizona war.

Im Rahmen des SFBs arbeite ich an der Frage, wie bzw. auf welche Weise sich in Räumen begrenzter Staatlichkeit der Anspruch auf demokratisches Regieren verwirklichen lässt. Diese Fragestellung macht es erforderlich, die uns wohl vertraute Vorstellungen staatlicher Demokratie abzulegen, um so zu einem Verständnis von Demokratie gelangen zu können, das nicht immer schon den Staat voraussetzt. Im Austausch mit Thomas Christiano, einem der wichtigsten gegenwärtigen Demokratietheoretiker in den USA, ging es mir während meiner Zeit in Arizona vor allem darum, ein solches bewusst abstraktes Verständnis der Demokratie zu entwickeln – ohne dabei das normative Anliegen der Demokratie aufzugeben, alle Mitglieder eines politischen Gemeinwesens als Gleiche an kollektiv verbindlichen Entscheidungen zu beteiligen.

Obwohl ich dies nicht geplant hatte, bot der Aufenthalt in Arizona aber zudem auch einen Anlass, in ungewohnten Bahnen über die Rolle des Staates für politische Gemeinwesen nachzudenken. Denn anders als in Deutschland und weiten Teilen Europas gibt es in den USA und gerade an der University of Arizona noch echte “Libertäre”, politische Theoretiker also, die im Anschluss an Autoren wie F.A. Hayek und Robert Nozick einen Freiheitsbegriff vertreten, der staatliche Eingriffe nur in äußerst eingeschränktem Maße zulässt. Für diese Art libertären Denkens – dessen praktische politische Bedeutung sich heute in den USA vor allem an dem Phänomen der “Tea Party” ablesen lässt – erscheint nicht-staatliche Governance nicht als Defekt, sondern ganz im Gegenteil als normativ erstrebenswerter Zustand. Dabei bestreiten auch libertäre Autoren nicht, dass es für bestimmte Funktionen aus normativen Gründen eines Staates bedarf, doch drehen sie in Zuspitzung klassisch-liberaler Vorstellungen staatlicher Legitimität in gewisser Weise die Beweislast um: Zu zeigen gilt es demnach, warum staatliche Governance nicht-staatlichen Formen des Regierens überlegen ist. Ohne sich die libertäre Perspektive zu eigen machen zu müssen, war mein Aufenthalt in den USA insofern auch ein schöner Anlass, liebgewonnene normative Selbstverständlichkeiten im Denken über den Staat noch einmal neu bzw. anders zu hinterfragen.

Über den Autor:

Dr. Daniel Jacob arbeitet als Postdoc im Teilprojekt B9 des SFB. Im Oktober 2014 ist seine Dissertation bei Palgrave Macmillan unter dem Titel Justice and Foreign Rule. On International Transitional Administrations erschienen.