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Forschung − Praxis − Policy: Rechtsstaatsförderung in der deutschen Außenpolitik und aus der Sicht der SFB-Forschung

News vom 15.07.2014

Der Wissenstransfer zwischen dem SFB und dem Auswärtigen Amt setzt bei der Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten an, die mit der Forschung über Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit korrespondiert. Im ersten Jahr unserer Zusammenarbeit liegt der Fokus auf der Rechtsstaatsförderung.

Rechtsstaatsförderung bezeichnet eine Politik gegenüber Ländern, deren Regieren nicht als “rechtsstaatlich” im Sinne eines mehr oder weniger universell verstandenen Standards gilt. Ziel dieser Politik ist es, die Qualität des Rechts und seiner Durchsetzung in dem jeweiligen Land zu verbessern. Meist geschieht das im Wege der Beratung von Akteuren der Gesetzgebung und der Rechtsdurchsetzung wie Richtern oder Staatsanwälten und durch die Arbeit mit lokalen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen.

Das Thema Rechtsstaatsförderung eröffnet eine doppelte Transferperspektive: denn wie das Transferprojekt selbst ist auch die Rechtsstaatsförderung auf den Transfer von Wissen zwischen Institutionen und Kontexten angelegt. Das wirft in beiden Fällen Fragen nach den Transferbedingungen und den Transfermitteln auf.

Die Praxis der Rechtsstaatsförderung verwendet unterschiedliche Begriffe von Rechtsstaatlichkeit oder Rule of Law. Wie auch bei Good Governance definiert letztlich jeder Verwender den Begriff selbst. Erst die Elastizität des Begriffs ermöglicht aber ganz unterschiedlichen Rechtsverständnisse den Anschluss an die weltweit geführten Debatten. Als Idee findet Rechtsstaatlichkeit heute praktisch überall Zustimmung. Unterschiede zeigen sich allerdings bei der Konkretisierung, wenn bspw. menschenrechtliche Gehalte auszubuchstabieren sind.

Die Forschung zur Rechtsstaatlichkeit und zur Rechtsstaatsförderung ist ganz auf konzeptionelle Fragen konzentriert. Sie grenzt normativ gehaltvolle von stärker stabilitätsorientierten formellen und zuletzt auch von pluralistischen Begriffen ab. Empirische Forschung zur Rechtsstaatsförderung ist dagegen rar. Wo sie die Effektivität des Transfers untersucht, handelt es sich meist um praxisnahe Evaluierung, die nach der Wirksamkeit einzelner Maßnahmen und Programmen fragt. Übergeordnete Untersuchungen, die die ordnungs- und gerechtigkeitsstiftenden Versprechen der Rechtsstaatsförderdoktrin hinterfragen, finden ebensowenig statt wie Untersuchungen zu den konkreten strategischen Zielen, die Regierungen und andere Institutionen mit diesem Mittel verfolgen und wie und unter welchen Bedingungen die Durchführung erfolgt. Dabei handelt es sich hierbei um wesentliche Legitimations- und Erfolgsfaktoren dieser Politik.

Das Auswärtige Amt führt hat erst kürzlich ein Register zur Rechtsstaatsförderung entwickelt, das einen Überblick über mehr als 600 Maßnahmen deutscher Organisationen bietet, von denen die meisten in irgendeiner Form mit Mitteln oder auf andere Weise von der Bundesregierung unterstützt werden. Das Register zeigt nicht nur ein Panorama von verschiedenen Projekten und Maßnahmen in knapp 100 Ländern. Es verweist auch auf die strategischen Ziele, die mit den Maßnahmen verfolgt werden und hinter denen unterschiedliche deutsche Interessen stehen. Rechtsstaatsförderung ist stets interessengeleitet, ob sie nun zur Friedenssicherung in Krisensituationen oder zur Herstellung von Rechtssicherheit und Ordnung oder zur Verbesserung der Investitionssicherheit für deutsche Unternehmen erfolgt, oder ob mit ihr ein normativer Dialog über Menschenrechtsverletzungen initiiert werden soll.

Was die Erwartung an den Erfolg der Rechtsstaatsförderbemühungen angeht, gilt es bescheiden zu bleiben. Die Transfer- und Diffusionsforschung hat gezeigt, dass die Implementation von extern konzipierten Programmen selten nachhaltige Wirkungen zeigt. Schon ein Parlamentsgesetz gilt in einigen lokalenen Kontexten nicht als Beitrag zum Recht, sondern als Diktat des Staates ohne Legitimität. Wo eine Aneignung erfolgt, kann diese die ursprüngliche Idee bis zur Unkenntlichkeit transformieren.

Nachhaltige Wirkungen sind überhaupt nur bei passgenauen, kontextsensiblen Lösungen zu erwarten. Sie haben vom lokalen Rechts- und Legitimationsverständnis auszugehen, dessen Analyse am Anfang aller Transferbemühungen zu stehen hat. Das verweist auf die Pluralität von Rechtsnormen und Gerichten, die im Fokus der Forschung des SFB-Teilprojekts B7 steht. Die Stärkung traditioneller Rechtssysteme − freilich unter dem Vorbehalt der Bewahrung eines Mindeststandards − kann eine Alternative zum Aufbau staatlicher Strukturen sein, die meist wenig Anerkennung finden. Und wie der SFB gezeigt hat, sind staatliche Institutionen für die Erbringung von Governance-Leistungen auch nicht zwingend erforderlich.

Transfer ist umso effektiver, je mehr er von beiden Seiten gleichermaßen aktiv betrieben wird. Gefordert ist dabei eine Übersetzungsleistung, die nur in einem andauernden wechselseitigen Prozess gelingt. Nimmt das Transferprojekt die Lehren aus der Transferforschung ernst, kann es von seinem Gegenstand lernen. Denn für den Wissenstransfer zwischen Forschung und politischer Praxis gilt grundsätzlich nichts anderes.

Schon jetzt hat sich gezeigt, dass der Austausch im Transferprojekt am besten beiläufig im Rahmen der täglichen Arbeit im Auswärtigen Amt gelingt. Weitergehende konzeptionelle Überlegungen zur Rechtsstaatsförderung werden in einer „Toolbox“ zusammengefasst, die es den zuständigen Fachreferaten ermöglichen soll, lokale Kontexte anhand des jeweiligen Grads an Rechtsstaatlichkeit zu unterscheiden und dafür jeweils Handlungsoptionen aufgezeigt zu bekommen, die frühere Erfahrungen der Bundesregierung in diesem Bereich verarbeiten. Die Perspektive der SFB-Forschung wird sich dabei besonders in der Berücksichtigung verschiedener nicht-staatlicher Formen von Governance zeigen.

Die Staatszentriertheit der außenpolitischen Perspektive steht dem Governance-Ansatz nur scheinbar entgegen. Sie stellt den Transfer allerdings unter besondere Anforderungen, die im Projekt stets mitzubedenken sind. Soweit sich wertvolle Beiträge nicht-staatlicher Akteure zu Governance nur innerhalb staatlicher und internationaler Strukturen berücksichtigen lassen, ist entweder nach entsprechenden Formen oder nach Alternativen zu fragen. Die Anerkennung traditioneller Rechts- und Governanceformen in der Verfassung ist ein Beispiel hierfür, die deutsche Beteiligung am „Syria Recovery Trust Fund ", der die Unterstützung lokaler Wiederaufbauprojekte auch in den von der Opposition kontrollierten Gebieten ermöglicht, ist ein anderes.

Bild: Dr. Matthias Kötter

Über den Autor:
Dr. Matthias Kötter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Teilprojekt Recht und Rechtsstaatlichkeit (rule of law) in Räumen begrenzter Staatlichkeit. Zudem ist Matthias Kötter seit dem 1. März 2014 scholar in residence beim Auswärtigen Amt im Rahmen des T3-Forschungsprojekts.